Das Jahr 2022 ist eine Wegscheide. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die internationale regelbasierte Ordnung gefährdeter denn je. Auch für Deutschland bringt dies tiefgreifenden Veränderungen mit sich. Unser über viele Jahrzehnte erfolgreiches deutsches Geschäftsmodell aus: wir verkaufen Autos und Maschinen in alle Welt, beziehen günstige Energie aus Russland, und unsere amerikanischen Partner gewährleisten die deutsche und europäische Sicherheit – funktioniert nicht mehr. Es braucht neue Ansätze. Zwei Pfeiler dieses Systems – Energie und Sicherheit – müssen in kürzester Zeit runderneuert werden.
Souveräner werden
In zwei der drei Bereiche, Energie und Sicherheit, wurde bereits reagiert. Mit dem angestrebten Import von Flüssiggas, der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, der Reaktivierung von Kohlekraftwerken und dem beschlossenen Sondervermögen für die Bundeswehr gehen wir erste Schritte hin zu einer putinfreien Energieversorgung und einer verbesserten Wehrhaftigkeit.
Doch das Fundament unseres Geschäftsmodells bildet der Außenhandel. Hier braucht es eine strukturelle Erneuerung. Denn dass wir Industrienation bleiben, weiterhin produzieren und Qualität 'Made in Germany' in die Welt verkaufen, davon hängt unser Wohlstand ab. Fast ein Drittel der Bruttowertschöpfung und mehr als jeder vierte Job hängen in Deutschland direkt oder indirekt vom Export ab. Eine Deglobalisierung des deutschen Handels wäre deshalb nicht zielführend. Doch ebenso ist die Grenze einer gedankenlosen Globalisierung erreicht.
So war es insbesondere die Energieabhängigkeit von Russland, die uns verwundbar machte und deren Auswirkungen wir massiv spüren. Darin liegt auch die Lehre für künftige wirtschaftliche Beziehungen, vorwiegend mit jener zu China. Es gilt in entscheidenden wirtschaftlichen Bereichen souveräner zu werden. Eine einseitige Abhängigkeit von einem autoritären Staat darf es nicht mehr geben. Die Sicherheit und die Verlässlichkeit unserer Wertschöpfungsketten und die Energie- und Rohstoffimporte müssen wir als Teil der nationalen und europäischen Sicherheit sehen.
Einseitige Abhängigkeiten reduzieren – Handelspartnerschaften stärken
Um dies zu erreichen, gilt es der Maxime zu folgen: Handelspolitik ist Sicherheitspolitik. Um unsere Freiheit und Sicherheit zu wahren, brauchen wir den Freihandel. Denn Deutschland ist und bleibt eine Handelsnation. Nicht „Decoupling“, sondern Diversifizierung ist die Leitlinie. Es bedarf deshalb mehr denn je einer ambitionierten und temporeichen Neuausrichtung der deutschen und europäischen Handelsbeziehungen.
Die Vertiefung und der Ausbau des Handels mit neuen Partnern schaffen Sicherheit und dies vor allem in einer Zeit, in der die Fundamente einer regelbasierten internationalen Ordnung stärker als jemals zuvor herausgefordert werden. Wir müssen deshalb den Handel mit anderen Demokratien stärken, um unsere Abhängigkeiten in zentralen Feldern zu reduzieren. Kanada, Neuseeland, Australien ebenso wie Chile, Mexiko und Indien – die Liste potenzieller neuer Handelsabkommen der EU ist lang. Auch in der strategisch wichtigen Region des Indo-Pazifiks müssen wir zumindest offene Angebote machen. Fertig ausgehandelte Abkommen wie CETA mit Kanada oder EU-Mercosur müssen schnellstmöglich ratifiziert werden.
Sicherheit durch Handel
Der Leitgedanke des neuen deutschen Geschäftsmodells sollte demzufolge sein: Sicherheit durch Handel. Und solange wir die globalen Umbrüche dieser Zeitenwende bewältigen, ist Sicherheit durch Handel die wohl wichtigste Säule eines neuen deutschen Geschäftsmodells. Unsere Versorgungssicherheit und die Resilienz unserer Lieferketten werden durch die Diversifizierung unserer Handelspartner verbessert. Die Umsätze von Unternehmen und das Einkommen von Erwerbstätigen werden gesichert. Damit lässt sich auch weiterhin das Versprechen „Mehr Wohlstand für Alle“ einlösen.